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Der „Gollum-Effekt“: Wie Besitzdenken die Wissenschaft lähmt

Der „Gollum-Effekt“: Wie Besitzdenken die Wissenschaft lähmt

Herr Valdez, Sie haben kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der Sie den sogenannten „Gollum-Effekt“ beschreiben. Was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff?

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Der Begriff beschreibt ein Verhalten im wissenschaftlichen Alltag, bei dem Leute glauben, sie besitzen ein Thema und verteidigen es mit allem, was sie haben – egal, ob subtil oder offen konfrontativ. Mein Kollege und ich haben den Begriff eigentlich erfunden, weil wir immer wieder bestimmte Verhaltensweisen im Forschungsbetrieb beobachtet haben. Da gab es Fälle von Mobbing, von subtiler Ausgrenzung, von offenem Blockieren. Erst wirkten diese Dinge ganz unterschiedlich, aber irgendwann wurde klar: Der gemeinsame Nenner ist dieses Gefühl von Besitzanspruch. Nach dem Motto: Das ist mein Thema, mein Feld, meine Methode – und niemand sonst darf da ran.

Und warum gerade dieser Name?

Wir haben den Begriff „Gollum-Effekt“ ganz bewusst gewählt, weil er sofort Bilder im Kopf auslöst. Viele kennen Gollum aus „Der Herr der Ringe“ und dieses „Mein Schatz!“, das diese Figur immer zischt, wenn ihm jemand den Ring wegnehmen will – genau dieses Gefühl wollten wir greifen. Um sich Macht zurückzuholen, muss man den Dingen einen Namen geben. Hätten wir das Phänomen einfach „territoriales Verhalten in der Wissenschaft“ genannt, wäre es wahrscheinlich in der Masse wissenschaftlicher Texte untergegangen. Ich finde: Wissenschaft sollte verständlich sein – auch für Leute, die keine Papers lesen. Ich versuche immer so zu schreiben, dass selbst meine Oma sagen könnte: „Ah, ja, das verstehe ich.“

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Wie kommt es in der Wissenschaft überhaupt zu solch starkem Besitzdenken?

Ein großer Teil dieses Verhaltens hat mit der extremen Konkurrenz in der Wissenschaft zu tun. Es gibt nur begrenzte Mittel – begrenzte Stellen, Fördergelder, Aufmerksamkeit. Und viele dieser Gollum-Momente entstehen letztlich aus Furcht: Furcht, den Expertenstatus zu verlieren, wenn plötzlich jemand Neues am gleichen Thema arbeitet. Furcht, keine Förderung mehr zu bekommen. Oder ganz grundsätzlich die Furcht, die Kontrolle über ein Thema zu verlieren, auf das man vielleicht seine ganze Karriere aufgebaut hat. Die Folge ist: Man zieht Zäune um sein Forschungsfeld, baut eine Art Revier auf, in dem nur man selbst das Sagen hat. Und das ist kein Zufall, sondern ein Symptom der hyperkompetitiven Struktur der Wissenschaft. Es ist wie ein „Jeder gegen jeden“ – und das führt eben zu diesem Gatekeeping, also dem ständigen Kontrollieren und Abgrenzen, wer dazugehört und wer nicht.

Dr. Jose Valdez hat den „Gollum-Effekt“ auch in seinem unmittelbaren Umfeld erfahren.

Dr. Jose Valdez hat den „Gollum-Effekt“ auch in seinem unmittelbaren Umfeld erfahren.

Quelle: Privat

Dr. Jose Valdez ist Postdoktorand am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig sowie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) im Fachbereich Biodiversitätsschutz. Seine Forschung beschäftigt sich im Allgemeinen mit Ökologie, Biodiversität und Naturschutz. Mit seinen Arbeiten zum sogenannten „Gollum-Effekt“ beschreibt er Misstände in der wissenschaftlichen Praxis.

Eigentlich gibt es doch klare Regeln und Ethikrichtlinien in der Wissenschaft, die genau solche Verhaltensweisen verhindern sollen – warum greifen die hier offenbar nicht?

Themen wie Mobbing, Ausgrenzung oder Gatekeeping in der Wissenschaft werden eigentlich erst seit ein paar Jahren wirklich offen angesprochen. Früher hieß es oft: „Tja, so ist das eben in der Wissenschaft“. Dabei sind genau diese Verhaltensweisen oft ein Ausdruck des Gollum-Effekts. Und klar, es gibt Ethikrichtlinien. Aber was bringt dir das, wenn du als Doktorand ganz unten stehst und dein Supervisor seit 30 Jahren an der Uni ist und Millionen an Fördergeldern einwirbt? Wer stellt sich da ernsthaft dagegen? Das Problem ist strukturell: Veröffentlichen oder untergehen – das ist das Motto. Das erzeugt Druck – und führt zu toxischen Dynamiken, die viel zu lange als normal hingenommen wurden.

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Welche Folgen hat der Gollum-Effekt?

Für einzelne Menschen bedeutet der Gollum-Effekt oft verlorene Chancen, zerstörtes Selbstvertrauen – und nicht selten den kompletten Ausstieg aus der Wissenschaft. Für die Wissenschaft insgesamt ist der Schaden enorm. Wenn Ideen unter Verschluss gehalten werden, statt offen geteilt und weiterentwickelt zu werden, leidet der Fortschritt. Innovation benötigt Austausch. Wenn der fehlt, verliert die Wissenschaft – und damit verlieren wir alle.

In Ihrer Studie zeigen Sie, dass sich nur etwa ein Drittel der Betroffenen aktiv gegen Gollum-Verhalten zur Wehr setzt. Warum bleiben so viele still – trotz negativer Erfahrungen?

Das Schwierige ist: Viele dieser „Gollums“ sind gut vernetzt, etabliert, sitzen an entscheidenden Stellen. Wenn man sich als junger Wissenschaftler gegen sie stellt, kann das schnell nach hinten losgehen – bis zum „Blacklisting“. Da heißt es dann hinter vorgehaltener Hand: Mit der Person lieber nicht zusammenarbeiten. Und als junger Forscher weißt du: Der sicherste Weg ist oft zu schweigen – selbst wenn das bedeutet, eine eigene Idee aufzugeben. Manchmal muss man Leute einbinden, nur um Konflikte zu vermeiden – etwa als Co-Autor, obwohl sie gar nichts beigetragen haben. Einfach, weil sie Einfluss haben: bei Förderanträgen, bei Paper-Reviews, bei Karrieren. Ich sage oft: Wissenschaft basiert zwar auf objektiven Methoden, aber es geht nicht nur um Daten und Theorien, sondern auch um Macht, Politik und Egos. Und wer die Spielregeln nicht mitspielt, riskiert schnell, ausgesperrt zu werden.

Ihre Untersuchung zeichnet ein eher beunruhigendes Bild des Wissenschaftssystems. Besteht nicht die Gefahr, dass solche Einblicke das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Forschung schwächen könnten?

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Wichtig ist: Der Gollum-Effekt hat nichts mit der Debatte um Vertrauen in die Wissenschaft im Sinne von „Die Daten sind manipuliert“ oder „Die Forscher haben eine Agenda“ zu tun. Es geht nicht darum, dass wissenschaftliche Ergebnisse falsch wären. Am Ende bleibt Wissenschaft immer noch Wissenschaft. Es geht vielmehr um die internen Dynamiken – also um Machtfragen, Eitelkeiten und wer woran forschen darf.

Was genau soll Ihre Studie vermitteln – worauf kommt es Ihnen am Ende wirklich an?

Wir stehen vor riesigen Herausforderungen wie Biodiversitätsverlust oder Klimawandel. Dafür benötigen wir schnelles, offenes, kollaboratives Arbeiten. Wenn aber gute Ideen ausgebremst werden, weil jemand sein Revier verteidigt, verzögert das mögliche Lösungen. Deshalb glauben wir: Ehrlichkeit über die Schwächen im System stärkt am Ende das Vertrauen in die Wissenschaft. Denn sie ist ein menschliches System – nicht perfekt, aber veränderbar.

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